"Romeo Und Julia" Als Massaker Der Liebe | Abendzeitung München

June 2, 2024, 5:48 pm

Probenfotos zeigen, dass wohl auch kräftig schreien geübt wurde. Ómarsdóttir hat bisher mit ihrem Hang zu sexueller Symbolik, Drastik der Körper- und Bildsprache und wundersamen Verbindungen zwischen den Welten immer fasziniert. Kein Adelsstreit ist also zu erwarten, sondern echter Geschlechterkampf. || ROMEO UND JULIA Staatstheater am Gärtnerplatz | Premiere: 22. November, 19. 30 Uhr | weitere Vorstellungen: 25. Nov., 9. /8. /26. Dez., 6. /12. /16. /14. Jan., 4. Feb. | jew. 18 oder 19. 30 Uhr Tickets: 089 2185 1960 Das könnte Sie auch interessieren: Liebe Leserinnen und Leser, wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden! Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen. Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.

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Das gilt auch für den Tanz, wo Ballettchef Karl Alfred Schreiner selbst choreografiert und diverse Kollegen ans Haus geholt hat, zuletzt Marco Goecke mit »La Strada«. Speziell das spontan-kreative Serienformat »Minutemade« mit nur fünf Tagen Probenzeit für die Gastchoreografen hat etablierte Namen und interessanten Nachwuchs mit dem Ensemble in Arbeitsbeziehungen gebracht. 2015 hatte hier, in einer Kooperation mit dem Festival Dance, Erna Ómarsdóttir mitgemacht. Jetzt arbeitet sie an der Premiere ihres neuen Klassikers. Bevor sich Ómarsdóttir auf eigene Kreationen konzentrierte, mit Les Ballet C de la B arbeitete, mit dem Tänzer Damien Jalet, in einer Death-Metal-Band oder für ein Video mit Björk, hatte sie bei Jan Fabre, Ann Teresa de Keersmaker und Sidi Larbi Cherkoui getanzt. Sie schuf ein hexenhaftes Frauenstück »Teach us to outgrow our madness« und ließ sich von Horrorfilmen zu »We saw monsters« inspirieren, das 2012 in München gastierte. In »Romeo und Julia« geht es ihr, so lässt sich die seltsame »Altersempfehlung ab 17 Jahren« interpretieren, nicht primär um zarte Liebe, sondern um explizite Gewalt.

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Die Isländerin Erna Ómarsdóttir choreografiert für das Gärtnerplatz-Tanzensemble den Klassiker »Romeo und Julia«. Bei den Proben zu »Romeo und Julia« © Marie-Laure Briane »Romeo und Julia« ist eine Herausforderung. Weniger wegen der Musik, denn Sergei Prokofjew folgte der Handlung Shakespeares, als er 1935 seine Ballettmusik schrieb, ein langes, dichtes, zwischen zarten Julia-Themen und Dissonanzen der Gewalt reich instrumentiertes und rhythmisch komplexes Werk. Nach der Uraufführung 1938 in Brünn hatte Leonid Lawrowski 1948 Prokofjews veränderte Fassung höchst erfolgreich beim Kirow-Ballett choreografiert. Sondern eher, weil sich schon die größten Choreografen davon zu eigenen Schöpfungen herausfordern ließen: Tatjana Gsovsky, Frederick Ashton, Serge Lifar, Kenneth MacMillan, John Neumeier, Rudolf Nurejew, Heinz Spoerli und Angelin Preljocai. Und John Cranko natürlich. Nun Erna Ómarsdóttir. Schon während der logistisch schwierigen Umbau-Phase mit Ausweichquartieren hat sich das Gärtnerplatztheater als Uraufführungshaus ausgezeichnet.

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Vielmehr greifen Erna Omarsdottir und Halla Olafsdottir auf bekannte Gestaltungselemente zurück. Da schmieren sich die Tänzer kräftig mit roter Farbe voll, wie in den bekannten Festspielen von Helmut Nitsch, um ihren Schmerz über den Tod des Liebespaares auszudrücken. Dann wird ausufernd mit einer grossen Stoffbahn gewedelt, um Wellenbewegung zu erzeugen oder unter dieser herumgekrochen. Originell startet noch der Abend. Alle Tänzer treten vor den Vorhang in fleischfarbenen Anzügen mit skurrilen Vergrösserungen verschiedener Körperteile. Eine persönliche Vorstellung in verschiedenen Sprachen folgt, ergänzt mit persönlichem Bezug zum Abend. Dabei ist wenig Begeisterung der Tänzer und fehlendes Verständnis für ihre verschiedenen Rollen zu spüren. Jeder Tänzer tanzt an diesem Abend alle Rollen, wobei die Helden der Theatervorlage gar nicht auftreten. Inhaltlich wollen die beiden Choreographinnen Gegenstände und Gefühle der Geschichte abbilden. So tritt Jesus als Sinnbild für die Kirche und Mutter der Liebespaare auf, Aggression und Hass kämpfen zwischen den verfeindeten Familien, Liebe kommt zum Ausdruck genauso wie das Leid und der Schmerz.

Es herrscht Chaos und absurde Spielwut. Eine schiere Menge an Romeos und Julias lebt sich aus. Statt Mercutios übermütig herbeigeführtem Tod beschmieren sich die Tänzer mit Blut. Zu sehen sind Mutter Erde (die Amme!? ), die ihre Liebenden aus blutenden Brüsten nährt oder eine düstere, fünfköpfige Engelsgestalt mit haarigen Flügeln. Der Zuschauer: blutig erschlagen? Nein: eine Entdeckungsreise Das kann einen erschlagen. Oder man lehnt sich zurück und gönnt sich, wie die Rezensentin, unvoreingenommen auf Entdeckungsjagd zu gehen. Der Prolog zu softer Synthesizer-Musik mit dem malerischen Titel "Watching Water" (Skúli Sverrisson) entführt in die nüchterne Abstraktheit des kahlen Bühnenraums. Nur im Hintergrund ergießt sich goldener Stoff über einige Treppenstufen. Chrisander Brun (Bühne) und Sunneva Ása Weisshappel (Kostüme) setzen diesen in verschiedensten Szenen als effektvollen Eyecatcher, als Mittel für Übergänge und Seelenlandschaften ein. Offenbar sind wir in einer Welt am Anfang der Menschheit gelandet.

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